VÖ 44: Neue Konzepte für die archivische Praxis
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VÖ 44: Neue Konzepte für die archivische Praxis

30,60 €
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Alexandra Lutz (Hrsg.)

Neue Konzepte für die archivische Praxis

Ausgewählte Transferarbeiten des 37. und 38. Wissenschaftlichen Kurses an der Archivschule Marburg

Menge

Vorwort

von Alexandra Lutz

Mit dem vorliegenden Sammelband wird nun zum dritten Mal eine Auswahl der Transferarbeiten der wissenschaftlichen Kurse an der Archivschule Marburg veröffentlicht. Die Transferarbeiten sind darauf ausgerichtet, Lösungsvorschläge und Konzepte für Probleme aus der archivischen Praxis zu entwickeln. Damit stellen sie stets auch einen Indikator für offene Fragen der Archivwissenschaft dar. In der archivischen Fachdebatte haben sich inzwischen bestimmte Themen als „Dauerbrenner“ etabliert, zu denken ist hier beispielsweise an die Bewertung und an die Erschließung. Dies spiegelt sich in einer nahezu konstanten Anzahl von Transferarbeiten zu diesen Themenkreisen wider. Darüber hinaus werden in den Transferarbeiten mitunter jedoch auch brandneue Fragen reflektiert oder altbekannte Themen in einen neuen Kontext gerückt.

Einen derartig neuen Blickwinkel bieten zunächst zwei Arbeiten, die sich dem Bereich des Archivmanagements widmen. Andreas Kunz setzt sich in seinem Beitrag mit der archivischen Öffentlichkeitsarbeit auseinander, die er als Element der strategischen Organisationsplanung und als eine Managementaufgabe definiert, die fach- und organisationsübergreifend verstanden werden sollte. Während es bereits eine Vielzahl von Aufsätzen zu einzelnen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten in den Archiven gibt, stellt eine konzeptionelle Handreichung für diese Aufgaben bislang noch ein Desiderat dar. Andreas Kunz entwirft deshalb ein Konzept für eine effektive und effiziente archivische Öffentlichkeitsarbeit, das eine Richtschnur für die Festlegung von Zielen, für das systematische Ableiten von Maßnahmen zur Zielerreichung, aber auch für die Planung und die Kontrolle des Ablaufs bietet. Thomas Reich setzt sich mit dem Themenkomplex des Wissensmanagements auseinander, das auf die Sicherung und Zugänglichkeit von Informationen in einer Organisation ausgerichtet ist, und überträgt deren Konzepte auf das Archivwesen. Ausgehend von einer Problemanalyse im Staatsarchiv Detmold entwirft er eine Reihe von Empfehlungen zur Einführung eines Wissensmanagements, die auf andere Archive übertragbar sind.

Neben den Managementaufgaben rückt in diesem Sammelband auch das bisherige Stiefkind der Archivare, die Schriftgutverwaltung, stärker in den Vordergrund. Lange Zeit hindurch haben die Archivare ihre Beratungsfunktion im Bereich der Schriftgutverwaltung lediglich in Form von ad hoc-Angeboten wahrgenommen. Ausnahmen wie das Stadtarchiv Mannheim, das regelmäßig Schulungen für die Behördenmitarbeiter anbietet und einen Leitfaden für die Schriftgutverwaltung entwickelt hat, können an diesem Gesamteindruck wenig ändern. Angesichts der anstehenden Einführung elektronischer Schriftgutverwaltungs- und Dokumentenmanagementsysteme in den Behörden werden Archivare jedoch zunehmend gezwungen, sich mit diesen Bereichen stärker auseinanderzusetzen. Sie müssen auf die Wahrung archivischer Belange bei der Einführung dieser Systeme drängen, stellen dabei notgedrungen aber auch fest, dass neue elektronische Systeme nicht über chaotische Schriftgutverwaltungen gestülpt werden können. Zu den Schwierigkeiten bei der Normierung von Schriftgutverwaltungen tragen nicht zuletzt auch die unklaren, verwirrenden Begrifflichkeiten bei, meinen Archivare und Behördenmitarbeiter sowie IT-Entwickler mit ein- und demselben Begriff doch oftmals nicht dasselbe. An diesem Problem setzt Matthias Nuding in seiner Analyse der von Archivaren, Schriftgutverwaltern und IT-Experten verwendeten Termini an. Er analysiert Veröffentlichungen aus den Bereichen Archivwesen, Schriftgutverwaltung, Informationstechnologie und Verwaltungswissenschaften, um den Gebrauch von zentralen Schlüsselbegriffen zu dokumentieren. Hierdurch leistet er einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung eines Glossars, das die Diskussion unter Archivaren und den Austausch mit EDV-Fachleuten maßgeblich erleichtern könnte. Volker Hirsch analysiert in seinem Aufsatz die Schriftgutverwaltung des Regierungspräsidiums Gießen. Sein Fokus liegt dabei auf der Organisation der dezentralen Registraturen und auf deren Wahrnehmung der Aussonderungsfunktion. Ausgehend von Besuchen vor Ort und von Gesprächen mit den Mitarbeitern zeigt er die bestehenden Probleme auf und entwickelt Lösungsvorschläge, wobei er ausdrücklich auch die Frage nach den Kosten der Schriftgutverwaltung beim gegenwärtigen Stand und nach der Umsetzung von Reformen einbezieht.

Auch der „Dauerbrenner“ der Archivwissenschaft, die Überlieferungsbildung, kommt in diesem Sammelband nicht zu kurz. Betrachtet man die Bewertungsdiskussion der letzten Jahrzehnte, dann scheint sie sich wie ein Pendel zwischen den Polen Evidenz und Informationswert hin- und herzubewegen. Nachdem seit den späten 1980er Jahren vor allem der Evidenzwert im Mittelpunkt der Diskussionen stand, wird nun in jüngeren Veröffentlichungen wieder das Konzept des Informationswertes vertreten und auch die Idee des Dokumentationsprofils erneut in die Diskussion gebracht. Mathias Jehn greift diese neue Diskussion in seinem Beitrag auf und dekliniert am Beispiel von Prozessverfahrensakten der Staatsanwaltschaft Bochum die Vielfalt der verschiedenen Bewertungsansätze und insbesondere die Frage nach der Anwendbarkeit von Dokumentationsprofilen durch. In dem Beitrag von Karsten Jedlitschka spiegeln sich zwei weitere wichtige Schlagwörter der Bewertungsdiskussion wider: die Frage nach den Kosten der Überlieferung und die Idee einer Überlieferung im Verbund. Beides spielt bei ihm eine wichtige Rolle, wenn er ein Konzept für die Überlieferungsbildung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder entwirft, das eine Doppelüberlieferung und damit unnötige Kosten vermeiden soll.

Eine der größten Herausforderungen für die archivische Tätigkeit stellt momentan die Archivierung elektronischer Unterlagen dar. Zwei Aufsätze widmen sich diesem Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Peter Sandner setzt sich in seinem Aufsatz mit der Archivierung georeferentieller Topografiedaten auseinander. Dies ist umso dringlicher, weil die mit Kartografie, Kataster und Topografie befassten Verwaltungsbereiche den Paradigmenwechsel zur digitalen Form schneller vollzogen haben als die meisten anderen Verwaltungszweige. Sandner erläutert die beim Hessischen Landesamt für Bodenmanagement und Geoinformation erwachsenen Dateien zum Digitalen Landschaftsmodell, zum Digitalen Geländemodell, zur Digitalen Topographischen Karte und zu Digitalen Orthophotos und zeigt die Vor- und Nachteile verschiedener Archivierungskonzepte auf. Auch im Bereich der elektronischen Statistiken besteht Handlungsbedarf, haben doch bisher lediglich das Bundesarchiv und Baden-Württemberg derartige Daten übernommen. Henning Steinführer erläutert in seinem Beitrag die Besonderheiten dieser Quellen und beleuchtet zudem die bisherige Archivierungspraxis, um anschließend dezidierte Vorschläge für die Archivierung der maschinenlesbaren Daten des Thüringer Landesamtes für Statistik zu unterbreiten.

Im Bereich der archivischen Erschließung stellen die Standards der Erschließung und vor allem die Verfügbarkeit von Erschließungsergebnissen seit langem zentrale Diskussionspunkte dar. Hierbei geht es um die Frage der gemeinsamen Portale, aber auch um die Entwicklung von Online-Findbüchern und um Digitalisierungsprojekte. Auch in diesen Bereichen spiegelt sich die allgegenwärtige Kostendebatte wider; es geht um die Pole des „Quick and Dirty“ und der tiefen Erschließung, aber auch um die Frage, wie man Erschließungsergebnisse am kostengünstigsten zur Verfügung stellen kann. Ulrich Fischer setzt an diesem Punkt an, wenn er die Retrokonversion handschriftlicher Findmittel untersucht. Im Mittelpunkt seines Beitrags steht der Vergleich verschiedener Verfahren, der händischen Eingabe und des Imaging-Verfahrens, in Hinblick auf deren Wirtschaftlichkeit. Die ebenfalls vergleichend arbeitende Untersuchung von Andreas Berger setzt sich ein ganz anderes Ziel. Ihm geht es um die Frage, wie die gängigen archivischen Erschließungsprogramme bestimmte archivfachliche Anforderungen umsetzen und erfüllen. Ziel seiner Arbeit ist weniger die Erstellung einer „Top-Ten-Liste“ der Erschließungssoftware, er möchte dem Leser vielmehr einen ersten Überblick verschaffen und ihm helfen, einen eigenen, an die jeweiligen archivspezifischen Bedürfnisse angepassten Kriterienkatalog zu entwickeln.

Der letzte Beitrag dieses Sammelbandes widmet sich einem Thema, das bislang vor allem in Medienarchiven, weniger aber im staatlichen Archivwesen Beachtung findet. Gerald Kreucher analysiert hierin den Umgang mit Videoaufzeichnungen im Archiv. Er skizziert die Entwicklung der Videoformate und stellt die gegenwärtigen Maßnahmen zur Bestandserhaltung, zu den Lagerungs- und zu den Nutzungsbedingungen, vor. Anschließend diskutiert er das Verfahren des Umkopierens auf analoge Videobänder, das kaum noch praktiziert wird, und die Vorgehensweise beim mittlererweise favorisierten Digitalisieren.

Der Sammelband enthält Aufsätze zu den Themenbereichen des Archivmanagements, zur Schriftgutverwaltung, zur Bewertung, zur Archivierung elektronischer Unterlagen, zur Erschließung und schließlich auch zum Bereich des audio-visuellen Archivguts. Damit hat sich die Spanne der behandelten Themen im Vergleich zu den beiden vorausgegangenen Veröffentlichungen weiter aufgefächert. Für die Zukunft wäre es wünschenswert, wenn diese Tendenz erhalten bliebe und noch mehr Aspekte der archivwissenschaftlichen Fachdiskussion – so beispielsweise der Bereich des Archivrechts –behandelt würden.

Marburg, im August 2006                              Alexandra Lutz

VÖ 44
103 Artikel

Technische Daten

ISBN
978-3-923833-08-5
Erscheinungsjahr
2006
Sprache
Deutsch
Auflage
1.
Seiten
399
Maße und Gewicht: (BxHxT)
148 x 210 x 20 mm; 594g

Besondere Bestellnummern

isbn
978-3-923833-76-4